Der Stoff aus dem die Energiewende gemacht wird … und warum der Weg zu Wasserpreisen gar nicht weit ist
Derzeit wird kaum eine politische Rede zur Energiewende und ‑sicherheit für den Industriestandort Deutschland gehalten, in der nicht die zentrale Bedeutung von Wasserstoff und seiner Derivate hervorgehoben wird. Schon viele Technologien und Energiequellen mussten als „Heilsbringer“ herhalten, aber dieses Mal scheint das Wundermittel wirklich gefunden zu sein. Und tatsächlich hat Wasserstoff viel Potential und punktet vor allem durch CO2-freie Verbrennung, gute Speicherfähigkeit und der Möglichkeit zur grünen Erzeugung durch Erneuerbare Energien. „Wasserstoff“ ist nicht nur aus energiewirtschaftlicher Sicht von Bedeutung, unter bestimmten Umständen kann dies auch für die lokale Wasserversorgung und deren Wasserpreise gelten.
Nationale Wasserstoffstrategie
Gemäß der Nationalen Wasserstoffstrategie in der fortgeschriebenen Fassung vom Juli 2023 sind ab 2030 Wasserstoffimporte von mindestens 45 TWh zur Deckung des deutschen Bedarfs erforderlich. [1] Diese Mengen sollen einerseits über bestehende bzw. neu zu errichtende Pipelines und andererseits per Schiff nach Deutschland importiert werden. Gleichzeitig soll die heimische Elektrolysekapazität für grünen Wasserstoff massiv ausgebaut werden: Bis 2030 soll diese von bisher geplanten 5 GW auf mindestens 10 GW verdoppelt werden, um die Bedarfsdeckung mit kurzen Transportwegen zu sichern. Werden hierbei 4.000 Volllaststunden und ein durchschnittlicher Wirkungsgrad der Elektrolyseanlagen von 70 Prozent unterstellt [2], ergibt sich eine heimische Produktion von 28 TWh. Als Rückgrat der inländischen Erzeugung gilt der parallele massive Ausbau der Erneuerbaren Energien. In dem Zuge wird – wie nicht anders zu erwarten – auf die Notwendigkeit schnellerer Planungs- und Genehmigungsverfahren und den Abbau unnötiger Bürokratie verwiesen.
Fehlender Blick für Wasser
Eines aber fällt bei näherer Auseinandersetzung mit den Zielen und Maßnahmen der Strategie auf: Der Wasserbedarf wird so gut wie gar nicht erwähnt. Der einzige Hinweis findet sich buchstäblich auf der letzten Seite der Nationalen Wasserstoffstrategie aus dem Jahr 2020. Dort heißt es in Maßnahme 37: „Zudem darf die nachhaltige Wasserversorgung in teilweise ariden Regionen dieser Länder nicht durch die Erzeugung von Wasserstoff beeinträchtigt werden.“ Hier geht es allerdings um die Erzeugung von Wasserstoff außerhalb Deutschlands. Die inländische Wasserversorgung wird offensichtlich nicht erwähnt, dabei steckt „Wasser“ doch eigentlich in „Wasserstoff“ – semantisch wie chemisch. Wäre es nicht sinnvoll, Wasser stärker mitzudenken?
Eine Untersuchung des DVGW kommt zu dem Schluss, dass der Wasserbedarf für grünen Wasserstoff im Vergleich zu der Nachfrage anderer Nutzergruppen nur sehr gering ist. Während die Wasserproduktion der öffentlichen Wasserversorgung in 2019 bei 5,4 Mrd. m³ lag, würde eine Elektrolysekapazität von 10 GW bei unterstellten 2.500 Volllaststunden weniger als 0,01 Mrd. m³ Süßwasser benötigen. Daneben ist vorgesehen, dass ca. ein Drittel der Elektrolyseure offshore oder in Küstennähe gebaut werden, sodass entsalztes Meerwasser genutzt werden könnte. Dies würde den Süßwasserbedarf weiter reduzieren. Nutzungskonflikte wären daher laut Aussage des DVGW vermeidbar und die Wasserressourcen würden ausreichen, um den Wasserbedarf für Elektrolyse in Deutschland zu decken. [3] Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass bei der Wasserstoffproduktion in großen Anlagen erhebliche Mengen an Wärme freigesetzt und enorme Kühlwassermengen erforderlich werden. Darauf weist der DVGW zwar hin, die o. g. Werte beziehen sich jedoch nur auf den Wasserbedarf für den Wasserstoff an sich. Und neben der Verfügbarkeit von Wasser sind auch noch weitere Standortfaktoren relevant.
Standortfaktoren erfolgreicher Wasserstoffproduktion
»Da stelle me uns e mal janz dumm. Watt is en Dampfmaschin?« Das Dampfmaschinenzeitalter ist glücklicherweise vorbei, aber das „Dummstellen“ kann manchmal hilfreich sein, um die großen Zusammenhänge nicht aus dem Blick zu verlieren. Folgende Standortfaktoren sind für eine erfolgreiche Wasserstoffproduktion von Bedeutung:
- Die Möglichkeit zur Entnahme von Wasser – sowohl für den Wasserstoff an sich als auch zu Kühlzwecken während seiner Erzeugung (insb. letzteres wird häufig massiv unterschätzt).
- Die Möglichkeit zur Abwassereinleitung (neben der Salzfracht ist insb. die hohe Temperatur des Abwassers problematisch, die bis zu 15 °C über derjenigen des Rohwasser liegen kann).
- Zugang zu „grünem“ Strom (EE vor Ort oder EE-Anbindung über Stromtrassen).
- Wasserstoffabnehmer vor Ort (Industrieprozesse mit sehr hohem Temperaturbedarf [z. B. Stahl- oder Glasherstellung] oder Nutzung für Verkehr [z. B. Bus- oder Lkw-Flotten]).
- Alternativ: Entsprechende Infrastruktur, um den Wasserstoff zu den Nutzern zu transportieren (Pipeline bzw. Straßen‑, Schienen- oder Wasserstraßenanbindung).
Die Aufzählung zeigt, dass für einen optimalen Standort der Wasserstofferzeugung viele Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Es lohnt sich daher, dezentral und innovativ zu denken und dabei vor allem den Wasserbedarf nicht aus dem Blick zu verlieren.
Beitrag von Wasserversorgern
Wasserversorger verstehen sich häufig als „Umweltunternehmen“ und so dürften viele von ihnen bereit sein, die Energiewende im Rahmen ihrer Möglichkeiten durch die Bereitstellung von Wasser für die Wasserstofferzeugung zu unterstützen. Dabei muss natürlich die lokale Situation berücksichtigt werden, in Wassermangelgebieten dürften Elektrolyseure eher fehl am Platz sein. Soweit es die lokalen Rohwasserressourcen jedoch erlauben, kann die Wasserlieferung an Betreiber von Elektrolyseanlagen eine win-win-win-Situation darstellen. Wie das gehen soll?
Stellen wir uns einen Wasserversorger vor, der in den vergangenen Jahren erhebliche Rückgänge bei der Wassernachfrage zu verzeichnen hatte, z. B. durch demografischen Wandel oder das Wegbrechen großer Industrieproduktion. Die Überkapazitäten bei Anlagen und Netzen verursachen hohe Kosten, denen angesichts sinkender Nachfrage immer geringere Erlöse gegenüberstehen. Sind die Standortfaktoren für eine Wasserstofferzeugung in seiner Nähe günstig, könnte er einem potentiellen Betreiber die Lieferung von Trinkwasser anbieten. Der Betreiber könnte somit auf hohe Investitionen in Gewinnungs- und Aufbereitungsanlagen verzichten. Und vielleicht ließe sich die Kooperation auch noch weiter denken, indem der Versorger sein Know-how bei der Wasseraufbereitung zur Verfügung stellt, denn das Trinkwasser muss vor Verwendung noch zu Reinstwasser aufbereitet werden. Eine Zusammenarbeit würde – bei sinnvoller Ausgestaltung der Preise – nennenswerte Deckungsbeiträge generieren, mit deren Hilfe Preissteigerungen für die privaten Wasserkunden vermieden oder zumindest erheblich reduziert werden könnten. Damit partizipiert auch die Bevölkerung an der Energiewende, was – darauf deuten viele Studien hin – ein zentraler Akzeptanzbaustein ist. Möglicherweise ließe sich noch größerer Mehrwert für die Kommune schaffen, indem die EE-Anlagen zur Erzeugung des grünen Stroms für die Wasserstofferzeugung mit Bürgerbeteiligung realisiert würden.
Auf das richtige Preismodell kommt es an
Natürlich sollte der Wasserversorger sich Gedanken über das Preismodell machen, das er seinem neuen Kunden anbietet. Von Bedeutung ist, dass er nicht nur Wasser liefert, sondern auch die Infrastruktur vorhält. Das Preismodell sollte deshalb auch einen hohen Anteil fixer Erlöse beinhalten, um das Risiko für den Wasserversorger so gering wie möglich zu halten, denn möglicherweise muss er auch Investitionen tätigen, z. B. in neue Druckerhöhungsanlagen oder Leitungsabschnitte. Gleichzeitig schwankt die Wassernachfrage im Zeitablauf: Fehlen Wind und Sonnenschein über einen längeren Zeitraum, wird kein Wasserstoff erzeugt und daher auch kein Wasser nachgefragt. Die Auslastung der Kapazitäten wird folglich nicht gleichverteilt sein, was ebenfalls in der Bepreisung abgebildet sein sollte. Am Ende landet man also tatsächlich wieder bei Wasserpreisen…
Quellen
[1] Die Bundesregierung (2023): „Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie“
[2] Die Bundesregierung (2020): „Die Nationale Wasserstoffstrategie“
Beide Dokumente sind abrufbar unter: https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/energiewende-und-nachhaltiges-wirtschaften/nationale-wasserstoffstrategie/nationale-wasserstoffstrategie_node.html
[3] DVGW (2023): „Genügend Wasser für die Elektrolyse – Wie viel Wasser wird für die Erzeugung von grünem Wasserstoff benötigt und gibt es ausreichende Ressourcen?“ (https://www.dvgw.de/medien/dvgw/leistungen/publikationen/h2o-fuer-elektrolyse-dvgw-factsheet.pdf)