Wasserpreise im größeren Zusammenhang sehen
Wasserpreise = Tarifkundenpreise?
Wenn wir an Wasserpreise denken, kommen uns zuvorderst Preise für Endkunden in den Sinn. Diese stehen im besonderen Fokus und immer mehr Akteure machen sich Gedanken über die Ziele, die mit der Ausgestaltung von Preismodellen verbunden sind und wie sich diese erreichen lassen. Dieser Blick aber auf Modelle lediglich für Tarifkunden ist verkürzt. Hiermit bleibt ein Wasserversorger unter seinen Möglichkeiten – erst recht dann, wenn preisliche Festlegungen mit Kunden und/oder Lieferanten zwischen „Tür und Angel“ ohne strategische Weitsicht getroffen werden. Solche Preismodellkonzepte gerade mit Nicht-Tarifkunden sind eine Chance für den Wasserversorger, an seiner ganzheitlichen „Preis-Geschichte“ weiterzuschreiben.
Das Ökosystem eines Wasserversorgers
Der Wasserversorger steht in einer vielfältigen Beziehung zu anderen. Beispielhaft wird dies anhand der folgenden Abbildung beschrieben.
„Das Ökosystem eines Wasserversorgers“
Quelle: Czichy/Gendries/Oelmann (2023)
Wasserdargebot, Systemkapazitäten und Kunden
Ein Wasserversorger verfügt über unterschiedliche Bezugsquellen, aus denen er verschiedene Kundengruppen versorgt. Als Bindeglied bei der Belieferung dienen ihm seine Systemkapazitäten, die vor allem Gewinnungsanlagen, Wasserwerke, Transport- und Versorgungsleitungen sowie Speicherbehälter umfassen. Zu seinen Bezugsquellen können sowohl eigene Wasserressourcen als auch der externe Wasserbezug von Vorlieferanten zählen. Seine Kundengruppen lassen sich unterscheiden in klassische Haushaltskunden (HHK), kleine und mittlere Nicht-Haushaltskunden (NHHK; z. B. Ärzte, Behörden, Schulen, Sportvereine etc.), große NHHK bzw. Sonderkunden (z. B. Landwirtschafts‑, Gewerbe- oder Industriebetriebe) sowie Weiterverteilerkunden (andere Wasserversorger mit Endkundenkontakt, d. h. der betrachtete Wasserversorger tritt seinerseits als Vorlieferant auf).
Veränderungen zwingen zum Handeln
Dabei ist dieses Bild des Ökosystems nicht statisch. Das bisher genutzte Dargebot kann aus quantitativen oder qualitativen Gründen unter Druck geraten. Nachfrageveränderungen der Bestandskunden – ob absolute Mengenveränderungen oder eine Anpassung des (saisonalen) Abnahmeverhaltens – führen mitunter zu großen Auswirkungen, die den Wasserversorger ressourcen- oder auch kapazitätsseitig vor Herausforderungen stellen können. Gleichzeitig könnte sich der Versorger dazu entschließen, seine Ressourcenverfügbarkeit durch den Zugriff auf weitere Vorlieferanten abzusichern oder gar Brauchwasserquellen zu erschließen. Ebenso kann er mit Belieferungsanfragen neuer Großkunden oder Weiterverteilerkunden konfrontiert sein. Die Auswirkungen des Klimawandels beeinflussen diese Dynamik prinzipiell nachhaltig – wir alle aber wissen: Die Bedingungen und Herausforderungen für Wasserversorger unterscheiden sich stark, weswegen auch die preispolitischen Empfehlungen differieren.
Eine erste Gruppe von Wasserversorgern mag ressourcenseitige Probleme haben. Sind diese fundamentalerer Natur, mag eine angebotsseitige Ausweitung durch Erschließen neuer Quelle oder den Anschluss an einen Fernwasserversorger unausweichlich sein. Nicht selten aber sind die Probleme „hausgemacht“. Übersteigt die Nachfrage bei einem Wassernachfrager in einer Zeitspanne die erlaubte Wasserentnahme, so ließe sich durch preispolitische Maßnahmen Nachfrage im Zeitverlauf verschieben. Demand-Side-Management ist hier die Antwort und den meisten größeren Kunden aus dem Energiebereich längst ein Begriff. Eher üblich im wasserwirtschaftlichen Bereich aber ist, dass der Wasserversorger sein Problem „exportiert“. Er fragt bei seinem benachbarten Wasserversorger an, ob er ihn im Notfall mit Wasser beliefern könne. Er ist gar bereit, einen höheren variablen Preis zu bezahlen als derjenige, der gemeinhin gelten würde.
Vorsicht bei der Preisgestaltung
Ein solcher Vertrag schreibt zum einen nicht die eingangs benannte „Preis-Geschichte“ fort, zum zweiten mag sich ein solcher Vertrag für den im Notfall Beliefernden als gefährlich herausstellen. Strategisch sollte der im Notfall zu beliefernde Wasserversorger sich ebenso an der Leistungsvorhaltung des Lieferanten beteiligen wie das im Falle des Systempreismodells für Tarifkunden auch der „normale“ Kunde tut. Dies wäre hinsichtlich der preispolitischen Argumentation konsistent. Wenn 80 % der Gesamtkosten fixer Natur sind, so mag auch die fixe entgeltliche Belastung des zu beliefernden Kunden in einer solchen Höhe liegen. Gegebenenfalls sogar nicht nur das: Die konkrete Nachfrage des um Notversorgung ersuchenden Stadtwerks wird insbesondere dann auftreten, wenn auch die Kunden des Lieferanten verstärkt nachfragen. Wenn in Folge dessen die wasserwirtschaftlichen Anlagen an kapazitative Grenzen kommen, ist das Problem perfekt. Ein solches beschriebenes Verhalten wäre blauäugig, durch angepasste preispolitische Vereinbarungen aber zu umgehen.
Im Sinne der Beziehungen des Wasserversorgers zu seinem Umfeld beobachten wir aber ebenfalls Reaktionen, die möglicherweise bei einer anderen Gruppen von Stadtwerken zu vorsichtig gewählt wären. Stellen wir uns einen großen Nachfrager vor, der seinen Wasserbezug erhöhen möchte, einen Landwirten, der kein Wasserrecht bekommt und deshalb eine Anfrage an den Wasserversorger stellt oder einen gänzlich neuen Nachfrager, der beispielsweise Wasser für eine Wasserstoffproduktion benötigt. Eine über den Sommer unterstellte konstante Last einer solchen zusätzlichen Nachfrage mag an bestimmten Tagen oder gar nur Stunden Kapazitäts- oder Entnahmegrenzen zu sprengen drohen. Die Reaktion des Wasserversorgers: Funktioniert nicht. Der Bürgermeister interveniert, im Zweifel wird dann ein Vertrag mit undurchdachten Preismodellen abgeschlossen und die gesehene Gefahr tritt ein. Auch hier ließen sich im Vorhinein intelligentere Lösungen gestalten. Muss die neu entfaltete Nachfrage wirklich zu jeder Zeit bedient werden oder aber haben (größere) Bestandskunden Flexibilitäten zur Nachfrageverschiebung, die sie gegen Bezahlung oder geringere sonstige Versorgungskosten ziehen könnten? Hier ist die Ausgangssituation im Detail zu betrachten. Funktionsfähige Lösungen lassen sich unserer Erfahrung nach immer gestalten. In der Kommunikation wird die nicht selten mit dem Umstieg auf ein Systempreismodell bei Tarifkunden begonnene Geschichte sinnhaft und stringent fortgeschrieben.
Quellen:
Czichy, Christoph / Gendries, Siegfried und Mark Oelmann (2023): „Zur Anpassung von Wasserpreismodellen vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen – Teil 2: Preismodellkomponenten als Anreiz- und Steuerungsinstrumente“, in: energie | wasser-praxis 09/2023, S. 34–42.